Ille mihi - Zweiter Band by Elisabeth von Heyking

Ille mihi - Zweiter Band by Elisabeth von Heyking

Autor:Elisabeth von Heyking
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Verlag von Gebrüder Paetel


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Von den Eiszapfen an den Dachrinnen tropfte es jetzt herab, daß sich in der Schneedecke unten am Boden regelmäßige runde Löcher bildeten, auf deren Grund man die nasse braune Erde schimmern sah. Und eines Morgens waren Eis und Schnee verschwunden, nur draußen an den Nordabhängen der Feldwege lagen noch weiße Streifen, gleich Pelzen, die südwärts wandernde Riesen achtlos abgeworfen hätten. Hatte nicht eben hier schon ein Vogel gezirpt? Drängten nicht dort daseinsdurstige Keime zum Lichte? –

Und wie in den Gärten unter der schützenden vorjährigen Laubdecke geheimnisvolles Werden sich regte, so begannen an Wolf erneuernde Kräfte zu schaffen. So schwach und zart waren die ersten Pulsschläge wieder erwachenden Lebens, daß Ilse sie anfangs kaum bemerkte, und als sie dann die beginnende Wandlung gewahrte, verschloß sie sich zuerst noch ängstlich dagegen. Denn zu viel hatte sie während dieser Monate von scheinbaren Besserungen und schweren Rückfällen anderer Kranken gehört. Nur das nicht erleben müssen! Nicht zu früh jubeln und nachher in noch tieferes, lähmendes Elend sinken! – Aber ihre Kräfte, ihr ganzes Wollen spannte sie doppelt an seit diesem ersten Hoffnungsschimmer, denn ihr war ja, als sei ihr Wolfs Seele bei finsterer Nacht in die Arme gelegt worden, und als erblicke sie nun endlich auf der fernen Höhe, zu der sie die Seele tragen sollte, einen lichten, wegweisenden Schein. Sie wich nicht von ihm und hütete ihn mit ihrer ganzen Liebe. Er lebte von ihrem Leben und erstarkte an ihren Kräften. – An ihr kleines Kind dachte sie bisweilen; ähnlich war das damals gewesen, ehe es geboren wurde, sie fühlte es ja oft ganz deutlich, wie etwas von ihr ebbte und in ihn überflutete. – Größeres Wunder aber wie neu entstehendes Leben dünkte sie dies beinahe schon entflohene, das, aus unbekannten Fernen wiederkehrend, vor ihr auferstand. Osterstimmung erfüllte ihre Welt, und sie konnte nicht anders, als andächtig die Hände falten, wenn sie Wolf jetzt bisweilen in ruhigem, natürlichem Schlafe liegen sah; die welke Haut glättete sich, das arme gequälte Gesicht nahm wieder etwas von seinem früheren Ausdruck an. Langsam begann die hoffnungslose Apathie von ihm zu weichen, und die Dinge, die er sah, glitten nicht mehr spurlos an ihm vorüber, sondern drangen bis zu seinem Bewußtsein. Jeder mußte es nun bemerken, daß er auf dem Wege zur Heilung war! Die ganze Anstalt sprach davon, mit Stolz wiesen die Ärzte auf ihn, und die anderen Patienten blickten ihm in Sehnsucht nach.

Bisher war Ilse mit Wolf nur an sonnigen Stunden im Garten des Krankenhauses auf und ab gegangen, wo Schneeglöckchen und Leberblümchen, in uralter vertrauensvoller Gewöhnung, als Früheste aus der Erde hervorschlüpften. Aber nun erlaubten die Ärzte die erste Ausfahrt. – Mit welcher Sorge ward alles vorbereitet! wie bang beobachtend saß sie dann neben ihm im Wagen! – Es war ja das erstemal seit vielen, vielen Monaten, daß er wieder hinauskam und fremde Gesichter und das Meer sah, das Meer, das ihn an so vieles mahnen mußte, wie würde er das alles ertragen? – Ihr war, als müsse sie die Hände stützend um ihn halten,



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